Im Atelier II
Der Trick mit der
Rückenfigur
Der Wanderer steht im Zentrum. Über seine Identität spekulieren Kunsthistoriker*innen seit Jahrzehnten: Bis heute ist nicht bekannt, welche Mission er hat oder wer er ist.
Friedrich lässt die Figur ganz bewusst offen: Vielleicht ist er einfach nur ein Wanderer, der die Erhabenheit der Natur erlebt. Vielleicht ist er ein zuvor verstorbener Freund, an den das Bild erinnern soll. Einen Hinweis gibt Friedrich: Der grüne Mantel des Wanderers könnte auf einen Förster hinweisen. Vielleicht deutet die heroische Pose auch auf einen deutschen Freiheitskämpfer hin: Damit würde Friedrich seine Unterstützung der deutschen Freiheitsbewegung in den 1810er Jahren ausdrücken.
Diese Uneindeutigkeit der Rückenfigur ist einer der großen Tricks, warum das Bild bis heute so erfolgreich ist: Es bleibt rätselhaft.
Wir können uns in die Rückenfigur hineinversetzen, in Fotos selbst ihren Platz einnehmen – und später beim Anschauen der Fotos daran erinnern, wie wir an diesem Ort standen.
Heute finden viele:
So offen ist die Rückenfigur nicht.
Das Bild kann nicht-weiße, nicht-männliche Identitäten und alle diejenigen ausschließen, die nicht so einfach auf einen Berg steigen können.
Der amerikanische Künstler Kehinde Wiley greift diese Problematik auf: Er übernimmt Friedrichs Bild fast exakt – allerdings ist sein Wanderer Schwarz und trägt Kleidung von heute. Wileys Gemälde ist zudem monumental groß, größer als ein barockes Herrscherbildnis. Auch ein politisches Statement!
Während der Covid-19-Pandemie war die finnische Künstlerin Elina Brotherus – wie viele – oft in der Natur unterwegs. Dabei entstand dieses Kunstwerk, in dem sie mit einem Wanderer-Beutel in Wanderer-Haltung auf einem Felsen posiert. Die Welt ist heute eine andere – und Friedrichs Wanderer ist Popkultur.